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Teil 1/10: Einblick in eine HR Biografie – und was ich "WIRKLICH WIRKLICH" wollte

Eine Serie von 10 Texten zu "Mehr Kompetenz durch Symbiose zwischen HR und Wirtschaftspsychologie" wird in den nächsten Wochen auf dieser Blog-Seite veröffentlicht. Sie geht der Frage nach, wo wir heute noch immer Entwicklungspotentiale in bestimmten Bereichen des HR Managements sehen und welche Massnahmen sich anbieten.

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Die Zeit bevor alles begann

Zu Beginn meiner persönlichen HR-Entwicklung beschäftigte ich mich im Rahmen einer anspruchsvollen Fusion während mehrerer Jahre mit der Konzeption und Erstellung von rund 50'000 Arbeitsverträgen, dem Redesign von HR-Prozessen, der Einführung von SAP R/3 HR, Implementierung neuer Personalversicherungslösungen, dem Rollout eines komplexen Zeitbewirtschaftungssystems, der Zusammenlegung von vier unabhängigen HR Administrationen in der Romandie u. v. m. Es war eine lehrreiche, spannende aber zugleich für mich wie für alle Beteiligten eine ausserordentlich erschöpfende Zeit.

 

Mehr Kompetenz durch Symbiose zwischen HR und Wirtschaftspsychologie

"Betriebswirtschaftliche Ansätze sind in vielen realen HR bezogenen Problemstellungen in Unternehmen allein meist nicht zielführend. Die Herausforderungen in komplexen personalrelevanten Situationen eines Unternehmens erfordern interdisziplinäre Konzepte in betriebswirtschaftlicher, juristischer und wirtschaftspsychologischer Hinsicht." - Alexander R. Moser

 

HR Consulting – meine neue Berufung

Nach einigen Jahren in leitender HR Funktion verspürte ich zusehends das Bedürfnis, mich der HR Beratung zuzuwenden, aus Wissbegierde und vor allem, weil ich mächtig viel bewegen wollte. Denn das Alltags- und Fusionsgeschäft deckten viele Unzulänglichkeiten im Bereich des HR Managements auf. So begab ich mich auf die Suche nach einem neuen Job. Obschon ich damals weder über spezifisches Wissen noch Erfahrung verfügte, wurde ich schnell fündig und als HR Berater in einem internationalen Konzern eingestellt. Ich war dankbar für die Chance und äusserst motiviert, mein neues Berufsfeld intensiv zu erkunden. Die wichtigsten HR Konzepte waren mir aus dem betriebswirtschaftlichen Studium bekannt und verständliche BWL-Literatur gab es auch schon damals zuhauf. Ich konnte mich in viele Themen einlesen und alsdann das Gelernte auch gleich anwenden.

Aber ein grosses Problem hatte ich dennoch: Ich wurde äusserst nervös, als ich die ersten Jobinterviews organisieren und durchführen sollte. Wie macht man denn das eigentlich? Ich hatte nur als Vorgesetzter einer grösseren Organisationseinheit ein paar wenige Anstellungen gemacht, mehr nicht.


Meine ersten Interviewerfahrungen

Problematisch war es für mich, weil ich als eigentlicher Autodidaktiker zum Thema Interview wenig erleuchtende Literatur fand, zumal ich mich wie gewohnt noch immer fast ausschliesslich in der Betriebswirtschaft tummelte. Wie sollte ich Interviews führen? Wie machen es die anderen? Natürlich fragte ich erfahrene HR Manager, wie sie dabei vorgingen. Ihre Tipps waren für einen Anfänger wie mich zwar hilfreich, dennoch gaben sie mir zu wenig halt, denn was sie mir verrieten, war aus meiner Sicht wenig methodisch, vielmehr einfach intuitiv. Ich versuchte daher quasi auf eigene Faust, Interviews so zu gestalten, sodass sie mehr Struktur erhielten. Was für mich zu diesem Zeitpunkt schon klar war: Der Anforderungsbezug und die richtigen Fragen zu stellen, war wahrhaft die Herausforderung! Wie sollte ich herausfinden, ob jemand motiviert ist, was fragt man, wenn man herausfinden möchte, ob er sich in der Regel gut mit anderen versteht, wie überprüft man sein Wissen u. v. m. Ein Fragenkatalog stand zwar zur Verfügung, doch half dieser angesichts der Vielfalt an Funktionen nur sehr beschränkt. Zudem hatte ich berechtigte Zweifel, ob er tatsächlich die Informationen abrufte, die es zu gewinnen galt. Man spricht hier von Validität, doch dieser Begriff in diesem Kontext war mir zu jenem Zeitpunkt vollkommen unbekannt.

Indes zeigte sich, dass ich in unserem HR Team mehr oder weniger der Einzige war, der sich vom Recruiting begeistern liess. Recruiting hatte hohe Priorität nur insofern, als dass man möglichst schnell Hiring Manager mit einigermassen akzeptablen CV's bedienen konnte. Sonst aber spielte das Thema sowie das Recruiter-Dasein eine untergeordnete Rolle.

Nach ungefähr zwei Jahren und unzähligen Interviews, fühlte ich mich sicher, ich sah mich inzwischen gar als erfahrener und guter Recruiter. Die Feedbacks der Linie waren positiv und bestärkten mich in meiner positiven Selbstwahrnehmung noch zusätzlich. Wenn dann eine Anstellung nicht von Erfolg gekrönt war – was öfter der Fall war als man es sich eingestehen mochte – dann konnte ich meist sagen: "Siehst Du, ich habe es Dir gesagt, wir hätten noch andere Kandidaten anschauen sollen.", "Ich an Deiner Stelle hätte ehrlich gesagt den anderen vorgezogen.", "Der Kandidat hat uns echt getäuscht!" oder "Na, das war jetzt wirklich Pech, sehr sehr schade. Wir suchen jemand anderes, kein Problem." und dergleichen. Als HR'ler trägt man i. d. R. nicht die Entscheidungsverantwortung, man nimmt lediglich die Beraterrolle ein. Derweil wurde die Methode nie wirklich hinterfragt, obwohl sie offensichtlich nicht robust genug war! Meine Kolleginnen und Kollegen machten es nicht anders und sie waren nicht erfolgreicher. Offenbar war dieses Thema nicht wichtig genug. Interviewmethoden wurden daher nie diskutiert.


Doch dann auf einmal geschah Folgendes:


Erste Berührungen mit der akademischen Psychologie

Irgendwann wurde ich mit drei Psychologen konfrontiert. Eine Person davon wurde für die Trainingsabteilung und eine andere für die Assistenz des GM rekrutiert. Die Dritte wurde vom Hauptsitz in die Schweiz entsandt und mir später direkt unterstellt. Letztere beschäftigte sich als HR Consultant explizit mit Rekrutierung. Mir fiel auf, dass ihre Interviewvorbereitungen sehr viel systematischer und wissenschaftlich fundierter waren. In ihrem Studium hatte sie das gelernt. Diese Tatsache inspirierte mich! Ich entdeckte eine Wissenschaft, von der ich einfach nichts wusste! Wie konnte das geschehen? Schliesslich fand ich die massgebende Literatur der Personalauswahl, die ich zu Beginn meiner "Beraterkarriere" so sehr vermisste, nämlich jene der Eignungsdiagnostik. Tausende wissenschaftliche Papers fand ich allein im Google. Schnell wurde mir klar, dass dieses Methodenfach hoch spannend aber auch sehr komplex ist. Die einschlägigen wissenschaftlichen Abhandlungen konnte ich aber nicht verstehen, da sie zu akademisch waren und weil meine statistischen Grundlagen ungenügend waren, obwohl ich zuvor während vieler Jahre im BWL-Studium weiss Gott viel Statistik gepaukt hatte.

Die Entscheidung

In meinem beharrlichen Streben nach Expertise im Interviewing führte deshalb meiner Meinung nach kein Weg an einem Psychologiestudium vorbei. Aber mit über 40 ein mindestens 5-jähriges Studium zu absolvieren, schien mir zunächst unmöglich oder zu gewagt. Ich hatte eine Familie und einen anspruchs- und verantwortungsvollen Job zu verrichten. Vielleicht würde ich eine andere Arbeit finden, die mir für mein Vorhaben mehr Zeit einräumte. So hielt ich denn auch Ausschau nach einem passenden Job und wurde fündig. Allerdings bot er mir keineswegs mehr Zeit für's Studieren, wie es sich später herausstellte, jedoch viel mehr Freiheit, meine Arbeit zu gestalten. Ich wurde lediglich für ein einziges aber bedeutsames HR Projekt eingesetzt. Es ging darum, zwei Produktionsstandorte in Genf und Zürich zu schliessen und eine komplett neue Fabrik in der Region Basel aufzubauen.

Gleichzeitig immatrikulierte ich mich für das Bachelorstudium an der Fernuni Schweiz, das folglich weniger Präsenz dafür bedeutend mehr Selbstdisziplin erforderte. Ich war voller Vorfreude und mein Wissensdurst unersättlich. Doch meine Professoren, Assistenten und Kommilitonen waren skeptisch, was mein Vorhaben anbelangte. Mein Job war nicht mit Teilzeitarbeit zu vereinbaren. Nichts schien mich aber von meinen Plänen abzuhalten. Ich liess nicht los und arbeitete unentwegt, für das Studium, für meinen neuen Job! Realistischerweise müsste ich es dramatischer darstellen...

Nun ja, es vergingen insgesamt sieben Jahre mit einer einjährigen Verschnaufpause zwischen dem Bachelorstudium an der Fernuni und Masterstudium an der Uni Zürich. Endlich war ich soweit und konnte meinen sehnlichst gewünschten MSc der Psychologie der Uni Zürich mit summa cum laude in der Hand halten. Gewiss, ich war mit Stolz erfüllt, jedoch wusste ich, dass ich noch weit von meinem eigentlichen finalen Ziel war, nämlich als selbständiger HR Consultant meine Dienste anzubieten.


Meine Retrospektive

Heute bin ich über meine "lebensverändernde" Entscheidung, mit einem Studium in Psychologie zu beginnen, sehr glücklich, denn ich konnte nicht nur das Recruiting erlernen, nein, ich konnte mir noch mächtig viel anderes relevantes Wissen aneignen. All die intensive Zeit mit jungen Leuten zu studieren, mit fantastischen Professoren und Forschenden zu diskutieren, es war schlichtweg eine absolute Bereicherung. Die fast täglichen neuen Einsichten, Erkenntnisse und die direkte Anwendung derselben im beruflichen Kontext begeistern mich noch heute ungemein. Dennoch, es gab nicht nur Begeisterung. Während der Studienzeit stiess ich mehr als nur einmal an meine Belastungsgrenze und fühlte mich zeitweise überarbeitet, übermüdet oder überfordert vom Job und Studium gleichermassen. Motivation, Durchhaltevermögen, Entbehrungen im Privatleben und Resilienz sind wohl die Stichwörter. Deshalb empfand ich das Studium als eine Art Lebensschule.

Quintessenz

Verbesserungspotentiale erkennen und nutzen. Sind wir uns tatsächlich bewusst über das schier unerschöpfliche Entwicklungspotential der Personalauswahl, Personalentwicklung und des HR im Allgemeinen? Wie ich selbst persönlich erfahren musste, liegt es vor allem an fehlenden Informationen, wieso wir z. B. heute noch viel zu selten die Erkenntnisse der Eignungsdiagnostik berücksichtigen. Vor allem werden wir dessen dann erst bewusst, wenn wir lernen. Das ermöglicht uns Verbesserungspotentiale aufzuspüren und sie systematisch zu nutzen. Man könnte enorme Kosten sparen und zusätzlichen nachhaltigen Nutzen für Unternehmen und Mitarbeitende stiften.

Zugang zur Wissenschaft. Die Wirtschaftspsychologie muss für HR Praktiker zugänglich und verständlich werden, denn das ist eine notwendige Voraussetzung für das Lernen. Es ist allerdings einfacher gesagt als getan. Auch die Wissenschaft wird aufgerufen, noch mehr Anstrengungen in diese Richtung zu unternehmen. Ein ausgezeichnetes Beispiel, wie man komplexe Sachverhalte einfach darstellt, zeigt der youtube-Kanal von Prof. Dr. Kanning.


Lernen. Schon vor dem Studium hatte ich – dank Restrukturierungen, Fusionen, Aufbau von neuen Organisationseinheiten u. a. – sicherlich schon mehr als 2'000 Interviews geführt, war also erfahren. Aber das eigentliche Know-how wie man sie führen sollte, kam erst mit dem ernsthaften Auseinandersetzen mit der Methodenlehre, denn bis dahin war meine Wahrnehmung bezüglich der Güte meiner Interviews völlig verzerrt. So erklärt sich u. a., weshalb viele HR Manager keinen Bedarf sehen, etwas an der Methode zu ändern. Das Lernen ist entscheidend, um entwicklungsorientiert und innovativ zu bleiben. Erfahrung allein ist nicht hinreichend, denn man kann jahrzehntelang methodisch falsche Wege beschreiten, ohne es zu merken. Das passiert erst recht, wenn die Kolleginnen und Kollegen es auch nicht anders machen.


Weiterbildung. Die Lernbereitschaft langfristig aufrechtzuerhalten und entsprechend investieren zu wollen, ist nicht selbstverständlich. Die Eignungsdiagnostik und andere Bereiche der Wirtschaftspsychologie sind herausfordernd. Trotzdem, es braucht keineswegs ein komplettes Hochschulstudium. Der regelmässige Besuch von qualitativ guten Kursen oder anderweitiges kontinuierliches Lernen würden den Wissenstransfer in die Praxis erleichtern. Weiterbildungsangebote in Sachen Recruiting im Allgemeinen und Interviewing im Speziellen für Nicht-Psychologen sind leider in der Schweiz eher dürftig. Selbst die eidgenössischen HR-Lehrgänge behandeln u. a. das Interviewing im besten Fall nur sehr oberflächlich, das ist ärgerlich. In Deutschland und langsam auch in der Schweiz wurden einige vorbildliche Initiativen gestartet. Z. B. ist die recruitingrebels e.V. zu nennen. Alle haben das Ziel, das HR in der betrieblichen Praxis zu verbessern. Genau daran arbeiten wir auch, indem wir z. B. zum Thema Interviewing ein- und zweitägige Workshops für HR Praktiker und Hiring Manager anbieten (https://www.hr-psychologie.ch/veranstaltungen-kurse).


Angesichts der Tatsache, dass Gespräche fast ausnahmslos vor jeder Einstellung geführt werden, stellt das Interview das wichtigste Diagnoseinstrument der Praxis dar. Die wichtigste Ressource und Investition, der bedeutendste Erfolgs- und Kostenfaktor eines jeden Unternehmens ist nun mal der Mensch. Es lohnt sich definitiv, sich intensiv mit diesem Thema auseinanderzusetzen.


Inzwischen habe ich meine Firma Alexander R. Moser HR Consulting (www.hr-psychologie.ch) gegründet, wir sind zu zweit und arbeiten mit sehr qualifizierten Fachleuten zusammen. Jeden Tag lernen wir dazu, dürfen unser Wissen teilen und weitergeben. Es ist fundamental wichtig, dass man die Erkenntnisse der Wirtschaftspsychologie in die HR Praxis einfliessen lässt, möchte man das HR Management im betrieblichen Alltag entwickeln.

Ich habe mich in diesem Blog hauptsächlich auf das Interviewing fokussiert, weil ich von Anbeginn meiner HR Laufbahn besonders in diesem Bereich meinen persönlichen Defiziten bewusstwerden musste. Die Wirtschaftspsychologie umfasst natürlich weit mehr als nur Recruiting oder Interviewtechniken, sie ist eine unentbehrliche Grundlage für ein professionelles und modernes HR Management geworden. Mehr dazu im nächsten Blog. Begeben Sie sich mit uns auf eine interessante Entdeckungstour.

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